Amys letzte Zeilen

von © Melanie Rinschede

 

"Sie lag geschlagen, getreten und blutüberströmt in ihrem Apartment, als die Polizei von New York das Wohnzimmer betrat. Die Detectives Joe Branlon und Sam Waters fanden schnell heraus, dass die Tote Amy Jossmann mit ihrem Freund Daniel aus Deutschland ausgewandert war und in diesem Apartment zusammen lebte. Aber Daniel fanden sie 2 ganze Tage nicht.“, so begann der Staatsanwalt seine Rede.

Die Jury sah die grausigen Bilder, die am Tatort gemacht worden waren.

Auf der Anklagebank saß Daniel. Er beteuerte seine Unschuld. Doch die Beweise belasteten ihn schwer.

So brachte Staatsanwalt Freddy Burshley während des Prozesses zu Tage, dass die Beziehung zwischen Daniel und Amy gar nicht so gut verlief, wie er zuvor in Vernehmungen behauptet hatte.

Zeugin der Anklage Carol, Freundin des Opfers, sagte aus: "Er hat sie so oft betrogen. Dieses Schwein! Sie konnte ihn nicht verlassen. Das wusste er. Und wenn sie ihn zur Rede stellen wollte, wurde er sauer. Ja, einmal sogar richtig aggressiv.“

Daniels Blick senkte sich. Er sah erschrocken aus. Er wusste, Carol hat Recht mit dem, was sie sagte. Daniel ist Amy nicht immer treu gewesen und einmal, als er zu viel getrunken hatte, stieß er sie von der Tür weg um heraus zu kommen. Doch Mord? Er hätte ihr doch nie etwas antun können.

Doch Carol fuhr fort: "Sie hatte Angst vor ihm, in den letzten Wochen. Sie hatte sich verändert. Doch wirklich drüber reden, wollte sie nicht. Sie sagte nur einmal, sie hätte unglaubliche Angst, dass ihr etwas Schreckliches zustoßen könne.“

"Dass ihr etwas Schreckliches zustoßen könne? Und damit meinte sie meinen Mandanten? Das wissen Sie zu 100 Prozent?“, fiel der Verteidiger ihr ins Wort.

Gerald Fielder war Daniels Verteidiger in diesem Mordprozess und versuchte, mit allen Mitteln, seinen Mandanten in einer weißen Weste zu präsentieren.

Doch nach ein paar Prozesstagen, war der Jury schon deutlich anzusehen, dass sie an Daniels Unschuld zweifelte. Allein die Verletzungen, die Amy beigebracht wurden, sprachen für einen sehr emotionalen, gefühlsgeladen Mord und eindeutig gegen Selbstmord. Sie hatte Hämatome in Form einer Hand auf dem Rücken, Stiefel abdrücke überall am Körper und ihr wurden büschelweise Haare herausgerissen.

Verteidiger Fielder konnte Mord nicht leugnen und versuchte verzweifelt der Jury andere Verdächtiger zu präsentieren. Einmal war es der unglücklich verliebte Verkäufer des Starbucks Ladens, in dem Amy jeden Morgen ihren Kaffee kaufte, ein anderes Mal ein unbekannte Stalker, der ihr angeblich aufgelauert haben soll.

Doch keine seiner Theorien hielten vor dem Staatanwalt und den ermittelten Beweisen stand.

Nun wurde Daniel in den Zeugenstand gerufen. Er war sichtlich nervös. Er war groß, hatte dunkele kurze Haar und strahlend blaue Augen. Ein Frauenschwarm. Das würde ihm nicht helfen, da ihm die Zeugenaussagen und sein Verhalten im Gericht schon ein arrogantes Image einbracht hatten. Gutes Aussehen würde dies nur noch bestätigen.

"Sie waren wie lange mit Amy zusammen?“, begann Burshley sein Kreuzverhör.

"Viereinhalb Jahre“, antwortete Daniel.

"Sie waren Ihrer Meinung nach glücklich?“

"Ja!“

"Sie haben Amy geliebt?“

"Ja! Sehr.“

"Wieso haben Sie die Frau betrogen, die Sie doch liebten?“

"Ich ähm ich …“

"Sie haben Amy nicht geliebt, sie haben Amy benutzt. Sie war diejenige, die den Haushalt machte, die Sie immer unterstützte und Ihnen jede Dummheit verziehen hat, egal wie sehr sie darunter litt. Und jetzt, so hat es uns Amys Mutter mit den Briefen zeigen können, die Amy ihr schrieb, wollte sie Sie verlassen. Diese Frau, die doch immer alles getan hat und Ihnen hörig war, wollte sie verlassen.“

"Nein, nein, ich wusste davon nichts, dass müssen sie mir glauben. Sie hat mir gegenüber nichts erwähnt, von Trennung.“, Daniel klang verzweifelt.

Trotzdem hielt die Jury die Briefe von Amy an ihre Mutter in der Hand.

Burshley zitierte: "… Ich ertrag das alles nicht mehr. Ich habe mit Daniel gesprochen, er ist ausgerastet, als ich ihm erzählte, dass ich mich nach einer Wohnung umsehe und ausziehen werde. …“

"Ich kann mich nur wiederholen, von einer Trennung wusste ich nichts!“ Daniel fehlten weitere Worte.

Burshley hatte dafür umso mehr zu berichten: "Ich kann ihn sagen, wie jener Abend ablief. Amy fing wieder von dem Thema Trennung an. Sie nervte das und sie wurden sauer. Dann begannen Sie Amy zu schlagen, Sie wurden immer wütender und schlugen immer fester zu. Dann haben Sie sie getreten und sie an den Haaren gezogen, bis sie plötzlich regungslos liegen blieb. Anschließend gingen Sie zu einem Freund, als sei nichts geschehen und das für 2 Tage.“

"Nein. Ich ging schon nachmittags zu ihm. Das war so ausgemacht, wir hatten einiges zu besprechen, Amy wusste das auch, deshalb war ich 2 Tage bei ihm. Das hat er doch auch so ausgesagt.“

Daniel erkannte, dass er in eine aussichtslose Situation geraten war.

"Die Aussage Ihres besten Freundes? Er lügt doch, um sie vor dem Knast zu bewahren.“

Daniel war am Boden.

Die Anwälte hielten ihre Schlussplädoyers. Die Jury hang an Burshleys Lippen. Er sprach von der schlechten Beziehung zwischen Amy und Daniel, Daniels Aggressivität und seinen zahllosen Äffären. Ein paar Frauen, mit denen sich Daniel getroffen hatte, hatte Burshley als Zeuginnen verhört.

Dann kam die Entscheidung, alle standen und warteten gespannt auf das Urteil. Ein Mitglied der Jury las vor und Daniel blieb der Atem weg - Schuldig!

Fassungslos und ohne etwas sagen zu können, wurde er von zwei Polizisten abgeführt. Sein Verteidiger rief ihm noch zu: "Wir werden in Berufung gehen, die Geschichte ist noch nicht vorbei!“

"Versprechen Sie Ihrem Mandanten nicht zu viel Fielder. Die Beweise sind eindeutig und das wissen sie auch.“, hämisch grinsend ging Burshley an ihm vorbei. Es war der zweite Fall, den er gegen Fielder gewonnen hatte.

Amys Mutter Anna bedankte sich beim Staatsanwalt. Sie fuhr zurück zum Hotel, packte ihre Sachen, unter anderem die Briefe, die als Beweisstücke dienten ein und flog zurück Richtung Deutschland.

Im Flugzeug nahm sie den letzten Brief ihrer Tochter aus ihrer Tasche. Den hatte sie der Polizei nicht überlassen. Sie war bestürzt und doch zufrieden, dass die Verhandlung so ausging, als sie Amys letzen Zeilen las.

 

"Liebe Mama,

Bevor du weiter ließt, musst du mir versprechen, dass du alles was du lesen wirst, für immer für dich behalten wirst.

Ich ertrage mein Leben nicht mehr. Ich liebe Daniel so sehr und er behandelt mich wie Dreck. Ich weiß Bescheid über seine vielen Affären. Er lässt nicht mit sich reden. Auch nicht über unsere Zukunft. Du weißt, wie sehr ich mir eine Hochzeit in Weiß und Kinder wünsche. Er meinte dazu nur, dass es Zeit hätte und er wisse nicht, ob er überhaupt Kinder wolle.

Ich kann ihn nicht verlassen und so weiterleben kann ich auch nicht. Ich wollte mir schon ein paar Mal das Leben nehmen, aber das Gefühl, dass Daniel dann ungeschoren davon kommt, mein Leben zerstört zu haben, hat mich immer wieder abgehalten.

Aber jetzt ist es so weit. Ich habe einen Auftragskiller bezahlt mich in unserer Wohnung zu Tode zu prügeln und damit Daniel als Mörder dastehen zu lassen.

Ich kann nicht mehr anders. Dieser Schmerz und diese Rachegefühle lassen mich nicht mehr los.

Lege der Polizei die vorherigen Briefe vor.

Verzeih mir, dir das Leid anzutun. Ich liebe Dich Mama.

Amy“