Weihnachtsgeschenk

von © Melanie Rinschede

Es ist Heiligabend. Die letzten Tage hat es ordentlich geschneit und es ist bitter kalt. Maria Silver, dick eingepackt in Mantel, Schal, Handschuhe und Mütze, hat sich nur heraus getraut, um noch ein paar letzte Besorgungen zu machen. Ihre Laune wurde etwas getrübt, als sie im Buchhandel erfuhr, dass das Geschenk für ihren Bruder zu spät ankommen würde. Zu Weihnachten würde sie ihm erst einmal eine andere Freude machen müssen. Aber welche? Sie ist sich nicht sicher, ob ihr auf die Schnelle noch eine Idee käme.

Enttäuscht stampft sie durch den Schnee zu ihrer Lieblingsbäckerei ‚Elnor’. Die nette Dame hinter der Theke begrüßt sie, wie seit Jahren, wieder mit einem „Herzlich Willkommen. Was darf ich für Sie tun?“ Aber auch ihr scheint es schwer zu fallen einen heiteren Eindruck zu machen. „Ein frisches Brot und 2 Brötchen hätte ich gern“, erwidert Maria. „Selbstverständlich.“ Doch diesmal kein kleines Pläuschen beim Einpacken. Kein freundlicher Small Talk. Irgendetwas ist anders als sonst. Maria kommt es ganz recht. Hat sie auch gerade nicht die Lust zu kommunizieren, ist sie in Gedanken doch noch bei dem Geschenk für ihren Bruder. „So, einmal ihr Brot und die Brötchen. Darf es sonst noch etwas sein?“ „Nein danke.“ Maria lächelt und nimmt ihre Ware entgegen. Gerade als sie sich umdrehen will erklingt noch einmal die Stimme „Warten Sie, ich habe noch eine Kleinigkeit für Sie.“ Die freundliche Frau zückt ein kleines, hübsch eingepacktes Geschenk und überreicht es Maria. „Für Sie zu Weihnachten. Danke, dass sie so lange Kundin bei uns waren.“ „Oh, vielen Dank. Ich wünsche Ihnen und ihrer Familie ein schönes Fest. Auf Wiedersehen.“ erwidert Maria und verlässt den Laden.

Was mag da wohl drin sein? Maria schaut auf ihr kleines Präsent und bemerkt ein daran festgemachtes Kärtchen, auf dem steht ‚Auf die wichtigen Dinge besinnen’. Maria lächelt. Ja das stimmt. Warum über den Buchladen ärgern? Warum nicht freuen, dass man heute Abend zusammen sitzen kann? Sie fühlt sich gleich besser. Nicht das Geschenk, sondern die Worte heiteren sie auf. Sie biegt um die Ecke zum Parkplatz, auf dem sie ihr Auto abgestellt hat. Warum sagte die Frau gerade ... Kundin bei uns waren? Wieso waren? Maria will gerade über die Worte nachdenken, als sie einen Mann auf dem Parkplatz fluchen hört „So ein Mist! Verdammt! Und das jetzt!“ Der Mann namens Derek tritt gegen sein Auto und sieht sehr wütend aus.

Maria geht zu ihm „Kann ich Ihnen behilflich sein?“ „Nein, ich denke nicht. Mein Auto springt nicht an. Der Pannendienst ist schon informiert.“ „Das hört sich aber nicht gut an.“ „Nein, ist es nicht. Und das ausgerechnet zu Weihnachten. Es war eh schon alles so teuer und dann auch noch…“ Noch bevor Derek seinen Satz beenden kann, hält Maria ihm das kleine Geschenk hin „Hier, für Sie. Eine Kleinigkeit zum Aufheitern. Mir hat es gerade geholfen.“. Derek lächelt freundlich und nimmt die Gabe an. Wieso überreicht eine ihm fremde Frau ihm jetzt ein Geschenk? „Danke!“ „Sehr gern und alles Gute wegen Ihrem Auto.“ Maria verstaut die Einkäufe in ihren Wagen und fährt davon.

Derek lehnt sich an sein Auto und fragt sich, was da wohl eingepackt sein könnte. Ein so kleines aber sehr schön eingepacktes Präsent. Warum schenkt ihm eine Fremde etwas so schönes? Während er es betrachtet, fällt ihm der Zettel auf ‚Auf die wichtigen Dinge besinnen. Geld ersetzt den wahren Wert des Geschenkes nicht’. Derek fängt an zu grübeln. Wieso war er so wütend? Er hat die Geschenke, die er gerade noch als so teuer bezeichnete, sehr gern gekauft. Er malte sich an der Kasse schon den Gesichtsausdruck seiner Kinder am nächsten Morgen aus, wenn sie die Packe öffnen würden. Und das Auto? Das Auto war doch auch schon so alt, es war abzusehen, dass es bald kaputt gehen würde. Seine schlechte Laune verfliegt. Dass ihm eine unbekannte Frau mit einer Kleinigkeit den Tag retten könnte, hätte er nie gedacht. Derek möchte das Präsent zu den anderen gekauften Sachen legen und es erst zusammen mit ihnen öffnen, als er eine Mutter rufen hört „Jenny lauf nicht so schnell, du wirst noch …“. Dann beginnt ein Kind zu weinen.

Derek dreht sich um und sieht ein kleines Mädchen auf dem Boden liegen, mit dem Knie auf einen aus dem weichen Schnee herausragenden Stein gefallen. Ohne das Geschenk ablegen zu können, läuft er zu dem Mädchen, dessen Mutter es schon auf dem Arm hält. „Kann ich Ihnen helfen?“ fragt Derek. „Ich denke, es ist nichts Schlimmes passiert. Sie hat sich nur leicht gestoßen.“ antwortet die Mutter. „Aber es tut weh.“ fügt die kleine Jenny hinzu. Doch Derek weiß Rat „Weißt du, was bei solchen Schmerzen gut hilft?“ Jenny schüttelt den Kopf. Derek hält ihr das Geschenk hin „Ein kleines Trostpflaster.“ Jenny strahlt und nimmt das Präsent gerne entgegen. „Es tut kaum noch weh.“ sagt sie. „Das habe ich mir schon gedacht.“ lächelt Derek und macht sich auf den Weg zurück zum Auto. „Vielen Dank. Das war sehr lieb von Ihnen.“ ruft ihm die Mutter noch hinterher. Derek winkt freundlich.

„So, wir müssen uns jetzt beeilen, nicht, dass wir den Bus verpassen. Kannst du wieder laufen?“ erkundigt sich die Mutter. „Ja, es geht schon wieder.“ Die Mutter nimmt Jenny an die Hand. In der anderen trägt Jenny das kleine Geschenk. Fasziniert guckt sie es sich an. In so schönem Kinderpapier eingepackt und daran festgemacht ein kleiner Weihnachtsmann. Ja, der Weihnachtsmann wird heute Nacht kommen und die vielen Geschenke bringen. Jenny ist schon so gespannt, was sie bekommen wird. Über diese Gedanken hinweg, vergisst sie doch glatt die Schmerzen. Was da wohl drin sein wird? „Darf ich es aufmachen?“ fragt Jenny neugierig. „Das machen wir später in Ruhe. Bei einer Tasse Kakao und Keksen.“ „Einverstanden.“

Die beiden kommen an der Bushaltestelle an, an der eine Frau verzweifelt versucht ein Taxiunternehmen zu erreichen. „Ständig besetzt! Ich habe meinen Bus verpasst und wenn ich nicht sofort ein Taxi bekomme, werde ich meinen Flieger verpassen und kann Weihnachten nicht bei meinen Eltern und der Familie sein. Soll ich Weihnachten alleine da sitzen?“ sagt Becka und läuft, mit dem Handy in der Hand, aufgeregt auf und ab. „Es tut mir leid dass ich Ihnen das erzähle. Ich weiß gerade nicht weiter.“ fügt sie hinzu. Jennys Mutter erwidert „Völlig in Ordnung. Ich kann sie verstehen.“ Jenny guckt mitfühlend zu der jungen Frau hoch und überlegt kurz. Sie wird bei ihren Eltern zuhause sein, an Weihnachten und viele Geschenke wird ihr der Weihnachtsmann auch bringen. Braucht sie also dieses Geschenk? Wahrscheinlich nicht. Sie hält Becka das Geschenk nach oben und sagt „Hier für dich, damit du nicht mehr traurig bist.“ Becka ist gerührt und weiß gar nicht so recht, was sie sagen soll. Soll sie das Geschenk annehmen? Würde sich das kleine Mädchen doch viel eher freuen über den Inhalt. Aber diese Geste soll nicht ignoriert werden. Sie nimmt die Gabe an und freut sich „Vielen Dank, meine Süße. Du bist aber sehr lieb. Das freut mich!“ Jenny schmunzelt. Ein Bus kommt angerauscht und hält. Beim einsteigen ruft Jennys Mutter Becka noch zu „Ich wünsche Ihnen alles Gute. Und das sie mit lieben Menschen zusammen feiern, egal wo.“

Ach ja, das Taxiunternehmen. Der Flieger. Becka will das Handy hochnehmen um zu wählen, bemerkt aber dann das Geschenk in ihrer Hand. Sie betrachtet es. Was ist da wohl drin? So schön elegant eingepackt und ein Zettel ist auch daran ‚Auf die wichtigen Dinge besinnen. Wer die wichtigen Menschen im Herzen trägt, ist nie allein.“ Becka überlegt. So etwas hatte ihre Mutter auch einmal gesagt. Stimmte es? Becka fällt wieder ein, dass sie im Supermarkt einen Aushang gesehen hatte, auf dem Helfer gesucht würden für die Suppenküche. Gerade an Weihnachten fehlten Hilfskräfte. Wieso nicht dort unter Menschen sein und etwas Gutes tun? Sie rennt los. Wie lange hat der Laden auf? Nicht, dass sie zu spät kommt. Aber sie hat Glück. Er ist noch geöffnet und total überfüllt. Menschen drängeln, schubsen und es ist laut. Becka bahnt sich ihren Weg zum Aushang und notiert sich die Telefonnummer. Als sie gehen will, bemerkt sie einen Mann, der vor der Tür telefoniert. „Es tut mir leid, das ist nun einmal so. Du willst doch auch, dass ich das Geld nach Hause bringe, dafür muss man auch Opfer bringen. Auch wenn man dann an Weihnachten mal arbeiten muss!“ brüllt Adam ins Telefon und legt wütend auf als er, die ihn anstarrende, Becka bemerkt. „Ist irgendwas?“ „Nein, ich … ich.“ stammelt Becka. „Sie, Sie was? Dieses ganze Getue um Weihnachten. Ich kann es langsam nicht mehr hören!“ Becka zögert, hält ihm aber dann doch das Geschenk hin. „Hier, vielleicht hilft es Ihnen in Weihnachtstimmung zu kommen.“ Adam nimmt das Geschenkt zweifelnd an und Becka dreht sich um, um schnell zu verschwinden. Dennoch hört sie Adams Worte, die er ihr hinterher ruft „Etwas lächerlich! Mit so einem Witz Geschenk auf Weihnachten eingestimmt zu werden!“

Adam ist jetzt sichtlich noch wütender als vor der Präsentübergabe. Jetzt in den Laden gehen und in dem Gedränge diese Liste seiner Frau abarbeiten, für ein Fest, an dem er gar nicht teilnehmen wird? Nein, er geht jetzt erstmal eine Runde spazieren um sich zu beruhigen. Während Adam durch den Schnee stampft, findet er doch Gefallen an diesem kleinen Päckchen. Was ist da drin? Wohl nichts Wertvolles, aber es sieht sehr wertvoll eingepackt aus. Und ein Zettel ist auch daran. Er liest die Zeilen ‚Auf die wichtigen Dinge besinnen. Lasse das Weihnachtswunder auch in dein Herz’ Adam zuckt zusammen. Das tat er gerade nicht. Er zieht die Arbeit seiner Familie vor. War die Arbeit denn wirklich soviel wichtiger? Nein, das war sie nicht. Ein Unwohlsein zieht sich durch seinen Körper. Wie könne er es wieder gut machen? Gleich würde er die ganzen Zutaten der Einkaufsliste besorgen und dann der Arbeit sagen, er könne morgen nicht kommen. Der wichtige Termin muss verschoben werden. Adam beginnt sich besser zu fühlen und zu überlegen, was er alles tun könne, da nimmt er plötzlich ein Schluchzen wahr. Er guckt hoch und sieht eine nette aber traurige Dame die ihre Bäckerei zuschließt.

„Kann ich Ihnen helfen?“ fragt er liebevoll. „Nein mein Herr, leider nicht.“ antwortet sie. „Ich bin Adam.“ Adam hält ihr die Hand zur Begrüßung hin. „Ich bin Eliza Norman und mir gehört, verzeihen Sie, gehörte diese Bäckerei ‚Elnor’ seit 30 Jahren.“ „Was ist denn passiert?“ „Sehen Sie, die ganzen Billigbäckereien haben mein Geschäft zerstört. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Das war mein Leben und heute war der letzte Tag.“ Adam ist überfordert. Was soll er tun? Er könne nicht ihre Bäckerei retten. Da bemerkt er das Geschenk in seinen Händen. Ihm hatte es geholfen, wieso nicht auch Eliza? „Es ist nur ein winziger Trost, aber ich habe hier etwas für sie.“ Er reicht ihr das kleine Päckchen rüber. Eliza ist erstaunt, das ist doch eines ihrer Geschenke. Warum hatte es dieser Mann? Er war doch gar nicht bei ihr einkaufen. „Vielen Dank.“ „Gern und trotzdem ein schönes Fest.“ verabschiedet sich Adam. Er dreht sich um und verschwindet.

Eliza steht vor ihrer geschlossenen Bäckerei und betrachtet ihr eigenes Geschenk. Wie ist der Mann daran gekommen? Wie lieb, es ihr zu schenken, er wusste ja nicht, dass es ursprünglich von ihr selbst stammt. Aber, was ist das? Warum ist ein Kärtchen an dem Geschenk? Das hatte sie doch gar nicht daran befestigt. Hat der Mann doch tatsächlich ein Kärtchen daran gemacht und darauf geschrieben ‚Auf die wichtigen Dinge besinnen. Es ist nie zu spät, etwas Neues zu beginnen“. Eliza ist irritiert, woher wusste Adam vor ihrer Begegnung von ihrer Situation? Und wie wahr diese Worte doch waren. Sie hatte doch noch so viele andere Träume, für die nie Zeit waren. Warum nicht jetzt die Zeit nutzen? Eliza wischt sich die Tränen aus den Augen und läuft, immer fröhlicher werdend, die Straße entlang, da bemerkt sie einen ältern Mann mit vollem weißen Bart ganz viele Pakete und Päckchen in einen alten Bulli zu laden. Er sieht abgehetzt aus.

Eliza geht zu ihm und fragt „Kann ich Ihnen helfen?“ „Nein. Vielen Dank. Ich habe heute noch so viel zu tun. Werde die ganze Nacht brauchen. Aber ich schaffe das schon. Ich führe diese Arbeit schon seit Jahren aus und Helfer habe ich auch.“ „Dann ist gut.“ Freut sich Eliza und bietet ihm das Geschenk an „Hier, eine Kleinigkeit für Ihre ganzen Mühen.“ „Oh danke, aber das kann ich nicht zurück nehmen.“ Eliza ist verwundert. Wieso zurück nehmen? Sie hatte diese Päckchen doch selber eingewickelt und verschnürt, es war doch eines ihrer Kundenpräsente. Sie schaut von dem Geschenk in ihrer Hand wieder hoch um zu sagen, dass er es annehmen könne, weil es von ihr ist aber sie stellt mit Erstaunen fest, dass der Mann, der alte Bulli und der Stapel Geschenke, die er noch einräumen musste, schon verschwunden sind.